Vielfalt der Wissensformen
»Vielfalt der Wissensformen« war als umfassendes Programm angelegt: Neben der theoretischen Komponente der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte verband es angewandte Interdisziplinarität mit forschungsorientiertem Lernen, kritischer Selbstbeobachtung und fächerübergreifender Zusammenarbeit und integrierte in der Zusammenführung anspruchsvoller Theorie mit Praxis wissenschaftsbezogene wie arbeitsmarktrelevante Schlüsselqualifikationen.
Vorbedingungen
»Vielfalt der Wissensformen« wurde im Rahmen des Antrags »Übergänge« des Bund-Länder-Programms für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre (»Qualitätspakt Lehre«) gefördert. Ziel war es, einen strukturierten, nicht obligatorischen Studienanteil zu schaffen, in dem die Vielfalt der Wissensformen dargestellt und kritisch diskutiert werden soll.
Dem interdisziplinären Studienprogramm »Vielfalt der Wissensformen« lag die Idee eines studium generale zugrunde, das von wiederkehrenden Momenten in der Wissensstruktur und Wissensorganisation der verschiedenen universitären Disziplinen und Studiengänge ausgeht. Dabei wurden die Gemeinsamkeiten und Verbindungsmomente zwischen den verschiedenen Wissenskulturen vor deren Ausdifferenzierung als eigene, starke Wissenschaften thematisiert, woraus sich eine zugleich historische und systematische Herangehensweise ableitete:
Wer die eigene Disziplin in ihrem systematischen und theoretischen Stellenwert erfassen möchte, der muss sich zwangsläufig mit der historischen Genese, Präsentation, Transformation und Distribution derjenigen Wissensfelder beschäftigen, aus denen diese Wissenschaft sukzessive hervorgegangen ist. Wer das eigene Wissen über die jeweiligen Disziplingrenzen hinweg kommunizieren möchte, der muss die notwendige Übersetzungsarbeit vor dem Hintergrund der kulturhistorischen Formationen dieses Wissens leisten. Und wer schließlich das eigene Wissen in eine alltagsrelevante Praxis einmünden lassen möchte, der kommt ebenso wenig um Historisierung und Kontextualisierung herum, findet doch jedes soziale Handeln stets innerhalb konkreter Gesellschaftsformen und -bereiche statt.
Einem auf die historische wie systematische Vielfalt von Wissens- und Wissenschaftskulturen konzentrierten studium generale kommt eine entscheidende Brückenfunktion zu, das Auseinanderklaffen der zwei (C.P. Snow) bzw. drei (Wolf Lepenies) Kulturen historisch zu situieren, systematisch zu relativieren und im Hinblick auf konkrete Fragen sogar zu überwinden. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass eine Dichotomisierung oder gar Antagonisierung unterschiedlicher Wissenschaftssysteme nicht nur kulturell und gesellschaftlich besehen höchst problematisch ist, sondern eben auch erkenntnislimitierende Folgen für die jeweilige Wissenschaft selbst mit sich bringt.
Konzeptuelle Umsetzung
Ausgehend von ihrem eigenen Fach sollten Studierende lernen, Wissen, Wissensstrukturen und Wissenschaft auch aus einer interkulturellen Perspektive und mit Blick auf eigene epistemologische Überzeugungen zu reflektieren. Dazu wurde das Programm als strukturierte Form des studium generale konzipiert, das die disziplinäre Ausbildung der Studierenden durch eine interdisziplinäre Komponente im Umfang von 10 Leistungspunkten erweitert.
Grundgedanke von »Vielfalt der Wissensformen« war es dabei, zum einen bei Studierenden das Verständnis der heutigen Wissenschaftsdisziplinen als historisch gewachsene Wissensformen mit einer jeweils spezifischen methodischen Verfasstheit zu schärfen. Die gemeinsame Arbeit im Seminar sollte zum anderen dazu beitragen, Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Fachs und des erlernten Wissens zu hinterfragen sowie neue Denkwege über Fächergrenzen hinaus aufzuzeigen.
In Form eines interdisziplinär zusammengesetzten Veranstaltungsangebots wurden abwechselnd aus der Perspektive der Natur-, Sozial-/Gesellschafts- und Geisteswissenschaften deren jeweilige Geschichte und kulturelle Verfasstheit beleuchtet, wobei methodisch insbesondere die Transformationsaspekte Stabilität, Übertragbarkeit und Unterscheidbarkeit von Wissen fokussiert wurden.
Wissensobjekt und Seminarprodukt
Die Annäherung an Wissens- und Wissenschaftsgeschichte erfolgte in den Seminaren anhand von Wissensobjekten – wie beispielsweise dem Radio, der Antibabypille oder einem psychiatrischen Messgerät. Mit dem Begriff Wissensobjekt wurde ein konkreter Gegenstand beschrieben, an dem sich exemplarisch die Wissenschaftsgeschichte einer Disziplin entfalten lässt. Darüber hinaus fungierte er als Knotenpunkt im disziplinären Netzwerk, an dem sich nicht nur Übergänge und Verbindungen zwischen den ausdifferenzierten Wissenschaftskulturen veranschaulichen und erforschen lassen, sondern der auch in besonderer Weise den Dialog zwischen den Studierenden der verschiedenen Disziplinen fördern kann.
Daneben stand das Seminarprodukt als Ergebnis in einigen der »Vielfalt der Wissensformen«-Seminaren. Das Seminarprodukt umfasste einerseits die gedankliche Dekonstruktion und den konkreten Nachbau des Wissensobjekts zur Erkenntnisgewinnung. Andererseits konnte damit auch die Reflektion, Diskussion und Übersetzung des erlernten Wissens in eine kommunizierbare Präsentation gemeint sein (wie z.B. Radiofeature oder eine Ausstellung).
Lehrformat
Hieraus entwickelte sich ein spezifisches Lehrformat, welches das Curriculum des Programms »Vielfalt der Wissensformen« prägt: Seminare, die einen ersten wissenshistorischen und interdiszipinär-theoretischen Teil mit einem zweiten Teil kombinieren, in dem sich die Studierenden dem jeweiligen Phänomen forschend und praktisch nähern. Daneben standen Überblicksvorlesungen und begleitende Seminaren/Übungen. Die oben genannten Transformationsaspekte wurden dabei jeweils historisch oder systematisch am konkreten Fallbeispiel mit wechselnder Schwerpunktsetzung der drei Wissenschaftskulturen erarbeitet, diskutiert und formuliert bzw. präsentiert.
»Vielfalt der Wissensformen« war somit als umfassendes Programm angelegt: Neben der theoretischen Komponente der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte verband es angewandte Interdisziplinarität mit forschungsorientiertem Lernen, kritischer Selbstbeobachtung und fächerübergreifender Zusammenarbeit und integrierte in der Zusammenführung anspruchsvoller Theorie mit Praxis wissenschaftsbezogene wie arbeitsmarktrelevante Schlüsselqualifikationen wie etwa die Arbeit in disziplinär heterogenen Teams, oder auch das Erlernen unterschiedlicher Kommunikations- und Präsentationsformen.