Das Leitbild Lehre der Humboldt-Universität
Die Mitglieder der Humboldt-Universität zu Berlin (HU Berlin) haben in einem partizipativen Prozess das folgende Leitbild Lehre entwickelt. Es spiegelt das Selbstverständnis der HU Berlin und schafft einen Orientierungsrahmen für gute Lehre, der im universitären Alltag erfahrbar und auffordernd ist, um aktuellen und zukünftigen Anforderungen an das Lehren und Lernen zu begegnen und Innovationen mitzugestalten. Gute Lehre garantiert allen Akteur*innen in Studium und Lehre gemäß ihren individuellen Voraussetzungen und Möglichkeiten ein wertschätzendes und gesundheitsförderndes
Lernklima sowie familienfreundliche, lehrenden- und studierendenorientierte Strukturen. Gute Lehre betrifft daher alle, die an der Gestaltung und Ermöglichung von Lehren und Lernen an der HU Berlin beteiligt sind. Hierzu gehören Studierende und Lehrende ebenso wie Mitarbeiter*innen aus den Bereichen Technik, Service und Verwaltung und die Universitätsleitung. Um die HU Berlin als gemeinsamen sozialen Raum zu gestalten, stehen alle Funktionsgruppen im fortlaufenden Dialog und wirken zusammen an dessen Weiterentwicklung mit.
Während dieses Leitbild das Bildungsverständnis der HU Berlin sowie die Querschnittsaufgaben und Leitlinien guter Lehre benennt, enthalten auf das Leitbild bezogene Zusatzdokumente weiterführende Informationen sowie konkrete Impulse und Maßnahmen für dessen Umsetzung.
Das Bildungsverständnis der Humboldt-Universität zu Berlin
… orientiert die Lehre an Wissenschaft, Reflexion und Ganzheitlichkeit.
Lehre im Medium der Wissenschaft: Die Lehre an der HU Berlin positioniert sich als gleichberechtigt und in Synergie mit der Forschung und ist damit von entscheidender Bedeutung für die Gestaltung des wissenschaftlich-akademischen Umfelds. Universitäre Lehre zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich im Medium der Wissenschaft vollzieht. Studierende werden ermutigt und unterstützt, selbst forschend tätig zu werden und forschend zu lernen. Gemäß dem Bildungsideal von Wilhelm von Humboldt bilden Lehre und Forschung eine Einheit, unterliegen keiner unmittelbaren Verwertbarkeit und sind sich ihrer zivilgesellschaftlichen Verantwortung bewusst.
Lehre im Medium der Reflexion: Die HU Berlin orientiert sich am Bildungsideal Humboldts im Sinne einer gleichen und ganzheitlichen Bildung für alle, die sich aus der Wechselwirkung von Selbst und Welt ergibt und persönlichkeitsbildende Ziele verfolgt. Die Lehre ist so zu gestalten, dass Lehrende und Studierende befähigt werden, selbstbestimmt und gemeinschaftlich zu agieren und dabei die jeweiligen Rollenverständnisse und die der Universität als Institution inhärenten Machtstrukturen zu reflektieren. Dazu fördert Lehre – neben der fachlichen Ausbildung – analytisches Denken, Problemlösefähigkeit und eine wissenschafts- und evidenzbasierte Reflexionsfähigkeit. Lehrenden werden Ressourcen und Freiheiten eingeräumt, sich – und damit ihre Lehre – didaktisch und methodisch weiterzuentwickeln.
Lehre im Medium der Ganzheitlichkeit: Die Lehre an der HU Berlin verfolgt die ganzheitliche Zielsetzung, Studierende auf ihre berufliche Laufbahn vorzubereiten und sie zu multiperspektivischem Denken und lebenslangem Lernen – auch unter Berücksichtigung affektiver, ästhetischer und sozialer Bildungserlebnisse – anzuregen. Hierfür werden Studierenden und Lehrenden ausreichend Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt, die Lehr-Lernprozesse flexibel gemeinsam zu gestalten.
Querschnittsaufgaben
… betreffen alle Bereiche von Lehre und Studium und werden von allen Beteiligten bei der Umsetzung der Leitlinien berücksichtigt.
Inklusion, Diversität, Gleichstellung und Partizipation: Die HU Berlin zielt auf umfassende Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und Diskriminierungsfreiheit. Die Lehre fördert die Sensibilität für die Vielfalt der Akteur*innen in Studium und Lehre. Sie betont ausgehend von einem intersektionalen Verständnis von Heterogenität die Bedeutung von Inklusion, Gleichstellung und Diversität, um unter kontinuierlichem Abbau von Barrieren eine Lehre zu schaffen, die Partizipation als aktive Beteiligung aller am Lehr- und Lernprozess ermöglicht. Diversität bezieht sich nicht nur auf die Berücksichtigung der individuellen – sichtbaren und unsichtbaren – Merkmale der Lehrenden und Studierenden, sondern auch auf die Lehrinhalte sowie Lehr- und Lernformen. Die HU Berlin erkennt an, dass die Fachgegenstände vielfältig sind und verschiedene Perspektiven, Erfahrungen und Kulturen repräsentieren.
Multiperspektivität und Internationalisierung: Die HU Berlin versteht sich als transnationaler Bildungsraum. Sie lebt Multiperspektivität, Mehrsprachigkeit und Internationalisierung, um Lehrenden und Lernenden die Möglichkeit zu bieten, sich mit unterschiedlichen Perspektiven auseinanderzusetzen und diese auch einzunehmen. Auf diese Weise können neue Erkenntnisse gewonnen, kritisches Denken, kulturelle Kompetenzen und Ambiguitätstoleranz gefördert und ein breiteres Verständnis von komplexen Fragestellungen erreicht werden. Internationalisierung unterstützt dies durch die Förderung von Mobilität sowie eines globalen Austausches von Wissen, Talenten und Ideen. Kooperationen in der Lehre – institutsintern, universitätsweit, am Standort Berlin und international – bieten einen Rahmen für gegenseitige Bereicherung und zur Nutzung von Synergien.
Nachhaltigkeit und Innovation: Die HU Berlin ist sich der Rolle der Lehre in Bezug auf Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung bewusst. Indem Nachhaltigkeitsaspekte in Lehre und an passender Stelle in Lerninhalten berücksichtigt und innovative Ansätze in Studium und Lehre gefördert werden, wird ein Bewusstsein für diese Aspekte geschärft und ein Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen geleistet. Im Sinne des lebenslangen Lernens auf individueller sowie institutioneller Ebene leiten uns Offenheit, Dialog und gemeinsame Expertise zu neuen Erkenntnissen und Entscheidungen.
Digitalisierung und Medienbildung: Die Lehre an der HU Berlin bewegt sich in einer zunehmend durch digitale Technologien und künstliche Intelligenz beeinflussten Gesellschaft. Wir verstehen die Digitalisierung als eine Erweiterung des inhaltlichen und methodischen Möglichkeitsraums für mehr Flexibilisierung, Beteiligung, Vielfalt und Zugänglichkeit. Digitale Kompetenzen und ein reflektierter Umgang mit modernen Medien und Technologien ergänzen den Umgang mit analogen Medien und damit verbundenen Arbeitsweisen im Lehren und Lernen.
Leitlinien für gute Lehre
… beschreiben auf Grundlage des Bildungsverständnisses und unter Berücksichtigung der Querschnittsaufgaben die verschiedenen Aspekte und Handlungsfelder von Lernen und Lehren.
1. Gute Lehre basiert auf geteilten Werten und gemeinsamen Fähigkeiten, Freiheit und Vertrauen sowie gesellschaftlicher Verantwortung.
Werte und Fähigkeiten: Guter Lehre liegen gemeinsame Werte und ethische Grundsätze, wie z. B. das Bekenntnis zur demokratischen Gesellschaft und zu einem humanistischen Menschenbild, für ein kooperatives und produktives Miteinander zugrunde. Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen erfordert die Lehre von allen Beteiligten ein eigenverantwortliches Handeln, gegenseitige Verantwortungsübernahme, Wissenschaftlichkeit und Erkenntnisorientierung sowie Neugier und Verlässlichkeit.
Freiheit und Vertrauen: Die HU Berlin schafft für die Lehre vor diesem wertebezogenen Rahmen Freiräume im Denken und Gestalten. Eine solche Lehre, die Freiheiten gewährt, zeichnet sich durch ein wertschätzendes, respekt- und vertrauensvolles Miteinander aus.
Gesellschaftliche Verantwortung: Die Lehre an der HU Berlin erkennt ihre Verantwortung für die Mitgestaltung des gesellschaftlichen Wandels an. Öffnung und Wissenstransfer über die Grenzen der Universität hinaus sowie die Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Perspektiven spielen dabei eine zentrale Rolle.
2. Gute Lehre zielt auf eine ganzheitliche, persönlichkeitsentwickelnde Bildung sowie die Vermittlung von Wissen, Fertigkeiten und Haltungen, die es ermöglichen, in Beruf und Gesellschaft kompetent zu handeln.
Persönlichkeitsentwicklung: Die Lehre der HU Berlin ermutigt und befähigt alle Beteiligten dazu, die eigene Rolle im universitären Umfeld und der Gesellschaft zu reflektieren. Hierdurch entstehen Möglichkeiten, die eigene Persönlichkeit (weiter) zu entwickeln.
Wissenschaftlichkeit: Studierende werden zur Teilnahme am fachlichen Diskurs sowie zu einem wissenschaftlichen und evidenzbasierten Denken und Handeln befähigt. Die Studierenden werden motiviert, sich selbst als Forschende wahrzunehmen und ihre Partizipationsmöglichkeiten beim Schaffen neuen Wissens zu erkennen. Damit werden sie auf eine Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Wissenschaft vorbereitet.
Berufsvorbereitung: Durch die Förderung eines fundierten Wissenschaftsverständnisses sowie fachbezogener Kompetenzen qualifiziert die Lehre Absolvent*innen für die Aufnahme komplexer Tätigkeiten außerhalb und innerhalb der Berufswelt. Lernen an der HU ist daher auch in Anwendungsbezügen situiert, um die Anschlussfähigkeit der akademisch entwickelten und vermittelten Inhalte und Methoden für berufliche Kontexte herzustellen.
Kompetenzorientierung: Zusammengenommen ergeben die genannten Zielkategorien ein ganzheitliches Kompetenzprofil. Die Lehre bereitet die Absolvent*innen der HU darauf vor, die akademischen Kompetenzen – sich auf Basis fundierter theoretischer und methodischer Kenntnisse mit einer forschenden Haltung neues Wissen anzueignen, zu prüfen, weiter zu entwickeln und zu kommunizieren – auch im außerwissenschaftlichen Kontext verantwortungsvoll einzusetzen, flexibel zu agieren und die ethischen Dimensionen des eigenen Handelns zu reflektieren.
3. Gute Lehre nutzt ein breites Spektrum an Methoden und passenden Prüfungsformen und stützt sich auf eine entwickelte Feedbackkultur.
Methodenvielfalt: Die Lehre an der HU Berlin nutzt aktuelle und angemessene Lehr- und Lernmethoden und Lehrveranstaltungsformate, die Ausdruck der unterschiedlichen Fächerkulturen und Arbeitsweisen der einzelnen Einrichtungen sind. Fächerübergreifend werden Formate und Methoden dabei bewusst eingesetzt und hinsichtlich ihrer Passung mit den von der Universität vertretenen Werten abgeglichen. Dafür nutzt die Lehre lernförderliche, insbesondere aktivierende, kooperative und partizipative Methoden und Veranstaltungsformate.
Feedbackkultur: Gute Lehre erfordert regelmäßige und möglichst zielgenaue Rückmeldungen zwischen allen Beteiligten. Die HU Berlin strebt eine partizipativ entwickelte und lebendige Feedbackkultur an, um die Autonomie und Eigenverantwortung der Studierenden zu stärken und den Austausch zwischen allen an der Lehre beteiligten Akteur*innen zu fördern.
Prüfungskultur: Grundsätzlich ist eine transparente Passung zwischen Kompetenzzielen, Lehr-Lernaktivitäten und Prüfungsleistungen herzustellen. Demnach sind auch Prüfungsformen und -formate kontinuierlich zu evaluieren und im Rahmen einer umfassenderen Prüfungskultur weiterzuentwickeln.
4. Gute Lehre braucht stabile und gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen, Ressourcen zur Weiterentwicklung und gegenseitige Verbindlichkeiten.
Rahmenbedingungen: Gute Lehre fußt auf stabilen Rahmenbedingungen hinsichtlich finanzieller, personeller, zeitlicher und räumlicher Ressourcen sowie umfassender universitärer Infrastrukturen. Die Mitarbeitenden aus dem Bereich Technik, Service und Verwaltung unterstützen die Lehre und deren Weiterentwicklung in Interaktion mit allen Funktionsgruppen, indem sie die organisatorischen und praktischen Grundlagen bereitstellen. Die Gremien und die Universitätsleitung bieten dafür die institutionellen und juristischen Rahmenbedingungen.
Gesundheitsmanagement: Das psychische, physische und soziale Wohlbefinden aller Akteur*innen und eine gesundheitsförderliche Lehr-Lernumgebung unter Beachtung der Lehr- und Studierbarkeit ist eine Voraussetzung, um die Qualität der Lehre auf lange Sicht aufrechtzuerhalten. Durch fortwährende gesundheitliche Sensibilisierung, Ressourcenschonung sowie die Stärkung von Gesundheitskompetenz und Flexibilisierung setzt sich die HU Berlin dafür ein, dass Lehren und Lernen mit anderen persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Aufgaben vereinbar sind. Dies betrifft sowohl die Berücksichtigung bestehender als auch die Prävention zukünftiger gesundheitlicher Einschränkungen.
Weiterentwicklung und Qualitätssicherung: Die kontinuierliche Weiterentwicklung von Studium und Lehre wird von einem interdisziplinären und kollaborativen Austausch sowie fortlaufenden Evaluationsprozessen getragen. Die Professionalisierung der Lehrenden und die Flexibilisierung von Studiengängen werden kontinuierlich gefördert, ebenso wie Raum für interdisziplinäre und multiperspektivische Zusammenarbeit, Austausch, gegenseitiger Unterstützung und Vernetzung innerhalb und außerhalb der Universität.
Verbindlichkeiten und Verpflichtungen: Das Leitbild Lehre setzt bewusst keine quantifizierbaren Standards, um der Diversität und Individualität der an der Lehre beteiligten Akteur*innen angemessen Rechnung zu tragen. Gleichwohl gehen wir alle auf Grundlage unseres gemeinsamen Verständnisses von guter Lehre Verbindlichkeiten und Verpflichtungen ein, um die in diesem Leitbild genannten Punkte umzusetzen.